30.09.2005 | 60 Jahre Frieden

 
60 Jahre Frieden in Österreich!

Gallneukirchen im 20. Jahrhundert
(zusammengestellt von GR Mag. Rupert Huber)

Historische Bilder von Gallneukirchen

Nach Zeiten der Not und des Unfriedens eine Zeit der Wohlfahrt und des Friedens. Geschichte steht nicht nur in Lehrbüchern. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat in allen Familien und in der Gemeinde stattgefunden. Aus Chroniken, aus Denkmälern und Informationen über Bauten will ich über Gallneukirchen im 20. Jahrhundert berichten.

60 Jahre lang kein Krieg

und wachsende Wohlfahrt ist in der Jahrhunderte langen Geschichte Österreichs einzigartig! Österreich ist nun mit allen Nachbarstaaten Mitglied in der Europäischen Union. Die Menschen in einer weiten europäischen Region können den Weg einer demokratischen Entwicklung für Frieden und Wohlfahrt gemeinsam gehen.

Die Ecksteine der europäischen Friedensordnung sind Demokratie und Wohlfahrt und umfassen

·  Recht auf ein Leben in Freiheit,
·
  Schutz vor Unrecht und Folter,
·
  Recht auf freie Meinungsäußerung,
·
  Recht auf Arbeit und
·
  eine freie und faire Wirtschaft.

Eine wache Erinnerung, dass wir lange Zeit im 20. Jahrhundert Armut, dann Diktatur und Krieg hatten, soll uns begleiten. Diese Geschichte kann nicht bewältigt oder entsorgt werden. Wir tragen nicht die Verantwortung für die Geschichte selbst, aber sehr wohl für den Umgang mit dieser tragischen Geschichte.

1914 bis 1930
Not, Armut und Bürgerkrieg! 1914 sind aus Gallneukirchen 200 Männer mit "Hoch!" und "Hurra!" im Musikzug in den Krieg verabschiedet worden[1]. Der Krieg dauerte jedoch lange, und die Not war zu Kriegsende 1918 überaus groß. 213 Namen sind über diesen Krieg im Kriegerdenkmal eingeschrieben und viele Männer wurden Invalide. Von denen, die zuerst eingerückt sind, ist fast jeder 3. gefallen.

Nach 1930
hatten die Vorstellungen der Parteien über die Gestaltung Österreichs keinen Grundkonsens mehr. Demokratie war nicht allen Parteien ein wertvoller und tragender Grundsatz, auch nicht die staatliche Eigenständigkeit Österreichs. Die Konflikte wurden nicht nur im Parlament ausgetragen, sondern in die Gesellschaft getragen. Aus Misstrauen auf die Exekutive des Staates organisierten die Parteien eigene bewaffnete paramilitärische Organisationen. 1933 wurde die demokratische Grundordnung abgeschafft. Im nun autoritären Ständestaat waren frei gewählte Gewerkschaften und Parteien verboten, politische Gegner konnten vorbeugend in Haft gehalten werden, Zensur war obligatorisch. Nach dem fatalen Bürgerkrieg 1934 war die "Vaterländische Front" unter den Heimwehrführern die alles bestimmende Kraft.

Die Weltwirtschaftskrise, aber auch die geringe Kreditwürdigkeit des Landes erlaubten keine Politik des Aufbaus.

"In Gallneukirchen spiegelten sich die Parteiengegensätze jener Jahre im Kleinen wider. /.../es gab eine Heimwehr, illegale Nationalsozialisten und Schutzbundangehörige. Selbst das Verhältnis zwischen dem "Christlich-Deutschen Turnverein" und dem "Deutsch-völkischen Turnverein trübte sich"[2]. Eine Ortswehr unter Führung der Heimwehr kontrollierte in Hausdurchsuchungen die Schutzbündler. Erlaubt war nur mehr die Vaterländische Front und diese war bestrebt, die demokratische Vielfalt zu "säubern".

Die Gemeindepolitik konnte nur mehr eine passive Verwaltung der Not sein. Arbeitslose mussten sich bis zu zweimal wöchentlich im Gemeindeamt rechtfertigen, dass sie Arbeit gesucht haben. Wer länger bei der Arbeitssuche keinen Erfolg hatte, erhielt die Berechtigung zum Betteln. Beschämend für Menschen in Not!

Der Marktplatz wurde 1935 zum Dollfußplatz umbenannt und die Kaiserbüste wurde wieder aufgestellt.

Adolf Hitler forderte die "Heimholung ins Reich", die terroristische NSDAP wurde wieder erlaubt und dann an der Regierung beteiligt. Dennoch wurde Österreich mit dem Anschluss am 12. März 1938 ausgelöscht.

Ein anonymer Schulchronist hielt fest, dass an einer Kundgebung der NSDAP am 24. Februar 1938 in Linz 300 GallneukirchnerInnen teilnahmen. In diesen Tagen fand auch in Gallneukirchen ein strammer Aufmarsch der Schutzarmee (SA) statt, der von den Vaterländischen als Faschingszug verhöhnt wurde.[3] Am Tag des Anschlusses, am 12. März, jubelte in Linz eine angekarrte Masse dem Führer zu, darunter auch hunderte GallneukirchnerInnen. Dieser Chronist vermerkt aber nicht, dass in diesen Tagen mehrere Gallneukirchner zur Zwangsarbeit nach Salzgitter in Sachsen mussten, weil sie Schutzbündler waren [4].
 

60 Jahre Frieden in Österreich!
Gallneukirchen von 1938 bis 1955

Österreich verschwand am 12. März 1938 mit dem Anschluss an das Deutsche Reich für sieben Jahre von der politischen Landkarte Europas. Der Anschluss war ein räuberischer Gewaltakt des nationalsozialistischen Deutschland und ein Hochverrat der illegalen österreichischen Nazis, die den Anschluss systematisch und mit Terror vorbereiteten. Aber ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung hatte diesen Anschluss bejubelt. Im Heimatbuch Gallneukirchen ist festgehalten, dass schon Wochen vor dem Anschluss 300 Gallneukirchner in Linz am 24. Februar 1938 an einer Kundgebung für den Anschluss teilgenommen hatten, dass bald darauf eine Gallneukirchner SA einen Aufmarsch im Markt machte und dass am 12. März zum Empfang des Führers in Linz hunderte aus Gallneukirchen kamen. Auch in Gallneukirchen wehten von allen Häusern die Flaggen und das Bild des Führers stand in vielen Auslagen.[5]

Überlegen wir, was war der Nationalsozialismus?

Die zentrale Doktrin des Nationalsozialismus ist primitiv: Was ein Mensch wert ist, hängt von seiner Rasse ab. Die hochwertigste Rasse, die Arier sind das deutsche Volk und die Nordeuropäer, die minderwertigen Menschen sind die slawischen Völker, die Zigeuner und die Juden. Diese Minderwertigen sind schuld, dass es den Deutschen schlecht geht. Unter dem Führer Adolf Hitler ist das vereinte großdeutsche Volk zur Herrschaft über Völker auserwählt. Die Minderwertigen müssen dem deutschen Volk Raum geben. Deshalb muss der Nationalsozialismus stark sein. Er kann keine Gegner im Volk und in Europa tolerieren. Denn die Juden, vor allem die jüdischen Marxisten in der ganzen Welt, hätten das Deutsche Volk in Armut und Not gebracht.

In Deutschland erreichte 1933 die NSDAP mit dem Führer Adolf Hitler die Regierungsgewalt. Die NS-Herrschaft war staatlicher Terror: Sofort verfolgten die Nazis politische Gegner und entrechteten die Menschen jüdischer Glaubens, Bürger des jüdischen Religionsbekenntnisses und Bürger jüdischer Glaubens-Herkunft wurden zur minderwertigen Rasse erklärt. Das NS-Regime rüstete gigantisch auf, baute eine Kriegsindustrie und die dafür notwendige Infrastruktur auf. Viele Menschen erhielten so Arbeit.

NS-Herrschaft ist soziale Demagogie und Gefälligkeitsdiktatur[6].
Mit Raub von arisierten Vermögen und Schulden bis zum Staatsbankrott
[7] wurde gerüstet und somit die Armut vieler Arbeiter -aber nur bis zum bitteren Kriegsende - beseitigt. In kurzer Zeit waren in Deutschland nicht mehr Massen arbeitslos; bald gab es Arbeitskräftemangel. Mit mächtiger Propaganda wurde den Arbeitern eingetrichtert, dass nicht gewählte Gewerkschaften und Parteien und nicht Klassenkampf, sondern Rassenkampf einen Wohlstand, den "sozialen Volksstaat" bringt. Der Führer ist der mächtige, gottgleiche Beschützer des Volkes.[8] Die Propaganda der Nazis war: dem Führer verdankt ihr Arbeit, Anspruch auf Urlaub, gerechtere Steuern, Kinderbeihilfen, Renten und bald werdet ihr auf modernen Straßen in Autos reisen können.

Der NS-Staat - Macht junger Männer

1933 war Hitler 44 Jahre alt, Göring 40, Goebbels 35, Heydrich 28, Eichmann 26, Mengele 21, Himmler 32. Das faszinierte. Zeitgeist war die Freude am Umsturz des Althergebrachten. Für Jüngere war Nationalsozialismus nicht Diktatur, Redeverbot und Unterdrückung, sondern Freiheit und Abenteuer im Kollektiv der NS-Volksgemeinschaft.

März 1938: Nationalsozialisten übernehmen die Macht in Österreich
In Linz und in anderen Städten und größeren Gemeinden6 marschierten SA und SS am 11. März - einen Tag vor dem vom Führer verkündeten Anschluss - zu umjubelten Kundgebungen und schritten dann zur Tat. Sie "stürmten" in Linz Landhaus, Rathaus, Polizeidirektion und erklärten Landeshauptmann, Bürgermeister und den Sicherheitsdirektor für abgesetzt; sie besetzten Rundfunk und Redaktionen. Der 31-jährige illegale Nazi August Eigruber erklärte sich zum Landeshauptmann. So vorbereitet erfolgte am 12. März der Einzug Adolf Hitlers in Linz. Zehntausende bereiteten ihm einen begeisterten Empfang. Am 15. März ernannte Eigruber seine NSDAP-Landesregierung, und "bestätigte" seinen SS-Sturmbannführer als Leiter der Sicherheitsdirektion. An diesem Tag hob er alle Gemeindetage auf und ernannte in den damals 505 oö. Gemeinden NS-Bürgermeister. So demonstrierte er Macht. SA-Gruppen demonstrierten auch so ihre Macht: Sie verprügelten und verhafteten willkürlich in nicht wenigen Gemeinden Beamte und Gendarmen, Repräsentanten des "alten Systems" - auch in Gallneukirchen - und in den Städten enteigneten, "arisierten" sie spontan jüdische Geschäfte.

Wie es zu mehr als 99% "Ja" kommt

Eine Volksabstimmung über den bereits vollzogenen Anschluss Österreichs an das Großdeutsche Reich wurde für den 10. April angeordnet. Das Deutsche Reich stellte 12 Millionen Reichsmark für Propaganda zur Verfügung. Angekündigt wurde mit modernster Propaganda die Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch Ausbau der Rüstungsindustrie. Betriebsgründungen und Spatenstichfeiern fanden in dieser Zeit statt. In Österreich waren damals 25 % arbeitslos und die Hälfte von diesen musste als "Ausgesteuerte" ohne Hilfszahlungen leben. Sofort erhielten die "Ausgesteuerten" wieder Zahlungen. In alle Orte kamen Propagandazüge. Ein Bericht aus Reichenau: "…da hat man im Ort ein Tischchen hingestellt und jeder, der Arbeit haben wollte, konnte sich hier melden. Da bildete sich eine Schlange von etwa 100 Arbeitern…am nächsten Tag bekamen die Leute Geld, um nach Linz zu fahren und sie erzählten bei der Rückkehr am Abend, in Linz seien Werkzeuge bereitgestanden und sie hätten sofort Arbeit gehabt"[10]  Die NSDAP hat den sozialdemokratische Arbeitern zugerufen: "die NS- Bewegung hat den wahrhaft sozialistischen Charakter". Demonstrativ erhielten ehemalige Februarkämpfer Ehrengaben und Wiedereinstellung in kommunalen Betrieben. Von vielen Kanzeln wurde ein "Ja" empfohlen, auch von ehemals sozialdemokratischen Politikern. Aber nicht nur mit ersten Reformen[11] arbeiteten die NS-Machthaber, auch mit staatlichem Terror. NS-Parteiorganisationen fahndeten nach verdächtigen Gegnern. Eine Verhaftungswelle folgte. Auch drei Gallneukirchner verhafteten sie und ließen sie zur Zwangsarbeit nach Deutschland verpflichten. Insgesamt wurden in kurzer Zeit ca. 50.000 Österreicher verhaftet, ca. 11.000 von ihnen wurden in das  KZ Dachau eingeliefert[12]- im Nazijargon:"mit denen sind wir abgefahren". Noch im März, vor der Volksabstimmung quartierte sich die Wehrmacht in Gallneukirchen mit ca. 800 Mann in Gallneukirchen überwiegend in Privatquartieren ein. Die Chronik berichtet von einem fröhlichen Leben im Markt und inniger Freundschaft mit den Soldaten. Bei der Abstimmung war in Gallneukirchen eine 100 %- Beteiligung und alle stimmten mit "Ja". Alle traten vor die Wahlkommission und füllten dort demonstrativ öffentlich ihre Stimmzettel aus. Diese Zeit hat den Menschen Optimismus gegeben. Die Geburtenraten sind überall, auch in Gallneukirchen, gestiegen: 1937 nur 32 Geburten, 1938:55 G.; 1939:67 G.; 1940:71 G; 1941: 69 G; 1942: 67 G; 1943:78 G; 1944:56 G; 1945: 42G.;

NS-Kultur in Gallneukirchen

Alle örtlichen Organisationen für Sport und Kultur wurden aufgehoben. Sport und Kultur durfte nur mehr innerhalb der NSDAP organisiert werden, alles sollte auf NS-Volksgemeinschaft ausgerichtet werden. Die örtliche NSDAP richtete viele öffentliche Feiern aus: "Tag der Volksabstimmung", " 1. Mai", "Muttertag", "Erntedank", der 9. November als "Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung", später für die im Krieg Gefallenen mit Ehrung der tapferen Mütter und Frauen, denn sie hatten Sohn oder Gatten dem Führer geopfert. Kaum angenommen wurden öffentliche Namensfeiern anstelle der Taufe und Jugendweihen anstelle der Firmung. Die Feiern waren am Schulplatz und am Marktplatz. Der Musikzug der HJ spielte und ein linientreuer Schuldirektor oder eine Parteigröße sprach flammende Appelle über die große Zeit. Gab es zum Tag eine Führerrede im Radio, wurden die Feiern so angesetzt, dass die Führerrede öffentlich gehört wurde.

Kirchliche Feste wurden argwöhnisch verfolgt. Pfarrer Albert Silberhumer wurde viermal zur Gestapo zitiert und mit 1000 RM (ca.3/4 eines Jahresgehalts) bestraft, u. a. weil die traditionelle Maiandacht in Hohenstein an einem Muttertag war (Muttertag war Parteifeiertag), weil bei der Fronleichnam- Prozession eine kirchliche Vereinsfahne getragen wurde, weil bei der NS-Beerdigung eines Gottgläubigen die Glocken nicht geläutet wurden und wegen einer die Wehrkraft zersetzenden Äußerung bei einer Predigt.[13]

Denkmale an die Geschichte kamen weg. Nicht nur die Kaiserbüste am Marktplatz, auch eine Marmor-Tafel in der Bürgerschule - heute Volkschule I -wurde gewendet und neu beschriftet, weil sie die Namen jener festhielt, die den Bau dieser Schule zuwege brachten.

Das NS-Grundkonzept für Erziehung war, den Menschen "schrankenlos verfügbar" zu machen. Der Kindergarten wurde der Pfarre genommen und dann von der NS-Wohlfahrt geführt. Für Erziehung zuständig sein sollte zuvorderst die Partei, dann die Schulen. Die Partei ordnete die Bildung an, die Schule hatte der Partei zuzuarbeiten. Ein Schulleiter musste loyal zur Partei stehen. Ein Wort eines Schülers über damals: "1937 hat mir der Lehrer eine Watsche gegeben, weil ich mit "Grüß Gott" statt mit "Heil Österreich" grüßte, 1939 hat mir derselbe eine Watsche gegeben, weil ich ihn nicht mit "Heil Hitler" grüßte und meine Mutter musste zur strengen Belehrung in die Schule kommen. 1946 hat mich derselbe am Kirchenplatz angeheischt, dass ich ihm schon ein "Grüß Gott" sagen könnte. Da hab ich ihn grußlos stehengelassen."

Die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend war für fast alle Kinder ab 10 Jahren Pflicht. Dort war nicht bloß Sport, Theaterspiel und Belehrung, sondern auch harte militärische Erziehung. Weil Gallneukirchen Musiklehrer und viele Musikschüler hatte, konnte ein HJ-Musikzug, ein Orchester gebildet werden. Dieser Musikzug war in den Kriegsjahren bald eine gefragte Kapelle. Ein Glück, diese Buben erhielten viel weniger Drill zum Krieg. Aber 1944/45 mussten sie Befestigungen zum "Endsieg" bauen und bewaffnet im Volkssturm sein. Wie abscheulich es in der HJ auch war, gibt dieses HJ-Lied wieder: "Deutschland sieh uns, wir weihen dir den Tod als kleinste Tat. Denn mögen wir fallen - wie ein Dom steht unser Staat"

NS-Terror in Gallneukirchen

Menschen mit Behinderung wurde das Lebensrecht genommen, "Euthanasie" wurde es genannt. Im Jänner 1941 fuhren SS-Männer ohne Ankündigung mit 2 Autobussen mit verklebten Fenstern zu Häusern der Diakonie und erzwangen eine sofortige Umsiedlung der Zöglinge in ein Heim im Reich. Aber die Zöglinge wurden in Hartheim ermordet. Hinterhältig war es, weil der Rektor und die Pflegeleiterin zur selben Zeit nach Linz bestellt waren. An der Rückseite des Ludwig-Schwarz-Hauses, im Park vor dem Haus Bethanien, ist ein Denkmal mit dieser Schrifttafel:

TUE DEINEN MUND AUF FÜR DIE STUMMEN UND FÜR DIE SACHE ALLER, DIE VERLASSEN SIND. ALTES TESTAMENT SPRÜCHE 31/8.

DEN 64 MENSCHEN; KINDERN UND ERWACHSENEN, WEGGEHOLT UND ERMORDET, OPFER DER GEWALTHERRSCHAFT DES DRITTEN REICHES AM 13. UND 31. JÄNNER 1941.

WIR LASSEN UNS MAHNEN VON GOTT GEGEBENES LEBEN ZU ACHTEN, ZU LIEBEN UND ZU FÖRDERN, GERADE WENN ES SCHWACH UND KRANK IST.

JÄNNER 1991

 

Einer Familie aus Alberndorf wurde bei dieser Aktion ihr taubstummer Sohn, der bei der Diakonie den Lehrberuf Weber lernte, ermordet. Nach der erlogenen Todesnachricht klagte die Mutter nach einem Requiem in Riedegg im Gasthaus über diesen Mord. Sie wurde in GESTAPO-Haft genommen, vor Gericht trat dann der Wirt als Zeuge der Anklage auf. Die Frau wurde auf Bewährung, nie mehr schlecht vom Führer zu reden, bedingt bestraft.[14]

Auch "nervenkranke" Erwachsene aus Gallneukirchen, eingewiesen in das Wagner-Jauregg-Krankenhaus, wurden dort ermordet.

ZwangsarbeiterInnen waren in den Rüstungsbetrieben und in vielen Bauernhöfen und Gewerbebetrieben. Sehr viele kamen aus Polen. Polen wie Russen galten in der NS-Doktrin als Untermenschen. Menschenfreundlich zu diesen Mitarbeitern zu sein, war verboten. Auch in Gallneukirchen waren Zwangsarbeiter und die Bevölkerung wurde ständig belehrt und beargwöhnt. Ein Pole wurde in Wartberg öffentlich gehängt, weil er ein Liebesverhältnis mit einer Frau hatte. Zur schaurigen öffentlichen Exekution mussten auch die Zwangsarbeiter aus Gallneukirchen kommen.[15]

Ein freies Wort über den fatalen Krieg konnte gefährlich werden, auch wenn es im "Alkoholdunst" als Witz gefallen ist. Zwei Gallneukirchner wurden vernadert und mit Kerker bestraft.[16]

Der Terror des Konzentrationslagers Mauthausen war 1945 in Gallneukirchen.

Russischen Kriegsgefangenen hat der NS-Staat die elementare Soldatenrechte aberkannt, sie sollten im KZ den Hungertod zu sterben. Deshalb sind ca. 500 am 2. Februar in Verzweiflung ausgebrochen. Unter Leitung der SS sollte der Volkssturm sie wie Hasen abschießen. Eine Gallneukirchnerin gab zu Protokoll: "Ich habe damals in der Dienergasse gewohnt, ich habe gesehen, wie sie 30  - 40 KZler heraufgetrieben haben, bei dieser Kälte in diesen KZ-Gwandeln. Barfuss waren einige, andere haben Fetzen um die Füße gewickelt gehabt. Sie haben sie in den Hof des ehemaligen Gasthauses J.Tanzer hineingetrieben. Dort haben sie ein Massaker an diesen durchgeführt. Wie sie vorbeigetrieben wurden, war man so entsetzt, das man momentan nicht erfasste, was los ist. /. /." Eine andere Gallneukirchnerin gab zu Protokoll: "ich habe gesagt, in Gottes Namen, was haben denn die getan, dass sie erschossen werden? Wenn ich nicht gehe, hat der SS-ler gesagt, komme ich auch noch dazu. Einer dieser Gefangenen hat eine Russin (Zwangsarbeiterin) aus seinem Heimatort gesehen. Er hat sie ersucht, sie möge seinen Angehörigen Grüße ausrichten, denn sie werden jetzt erschossen. Ja auf der Aignerhalde wurden sie von der SS erschossen." Auch in Gallneukirchen mussten ältere Hitlerjungen bei der Menschenhatz mitmachen. Einer von diesen sagte mir: "Man hatte mir Gewissen und Verstand genommen!"

Der NS-Terror in den letzten Kriegstagen

In den letzten Kriegstagen - die totale Niederlage Hitlerdeutschlands war bereits Realität - ging die größte Gefahr für die Bevölkerung von unmenschlichen und unsinnigen Befehlen der Nazi-Diktatur und der Wehrmachtsführung aus. Unter den Kugeln der Hinrichtungskommandos starben viel mehr Soldaten und Zivilisten als bei den befohlenen Kriegsdienst gegen die vorrückende US-Armee.

In Treffling beim Truppenübungsplatz erinnert ein Denkmal, dass dort am 28. April 5 Bürger aus Peilstein und am 1. Mai 1945 8 Bürger aus Freistadt und 5 aus Steyr hingerichtet wurden. Zur Exekution wurden 16-Jährige der Linzer-Hitlerjugend missbraucht.[17] Welcher Widerstand hat diesen Männern und Frauen den Tod gebracht? Sie wollten verhindern, dass auch in ihrem Ort bis zuletzt gekämpft wird, sie haben Familien, deren Väter in Haft waren, unterstützt, sie haben Soldaten, die nicht mehr an die Front gingen, versteckt. Zu dieser Zeit war bereits in Wien wieder eine Österreichische Bundesregierung.

Gallneukirchen wurde in den Tagen vor dem 4. Mai -Hitler hatte sich am 30. April umgebracht- zum Endkampf gerüstet.[18] Am Punzenberg waren Granatwerfer in Stellung gegangen und von Treffling aus sollte schwere Artillerie nach der Besetzung Gallneukirchens durch die Amerikaner einen Feuerschlag von 600 Schuss auf den Ort abgeben. Der Chronist Gottfried Fitzinger hat im Gallneukirchner Heimatbuch festgehalten[19]: "Wenn wir mit Recht jene Männer ehren, die im Jahr 1809 den Markt vor der Zerstörung retteten, dann dürfen wir auch jene Soldaten nicht vergessen, die unter Einsatz ihres Lebens den Befehl zur Zerstörung Gallneukirchens nicht ausführten, sondern vielmehr alles taten, um den Einsatz der Geschütze unmöglich zu machen, indem sie Flak-Soldaten und Helfer zur Flucht veranlassten und gegen den Wahnsinnsbefehl Stellung nahmen. /.../ Die Namen dieser Männer verdienen wohl einen Ehrenplatz in unserem Heimatbuch. Es handelt sich um den Haupttruppführer Leopold Höbinger, Geschützstaffelführer und Gustl Klaubauf, Messtruppführer. Unterstützt wurden sie von Herrn Josef Binder, Lachstatt 10 (Gemeinde Steyregg), der vielen Flüchtenden Obdach gewährte und sie unterstützte und so den sinnlos gewordenen Tod vieler Menschen verhindern half."

Kriegsende und Befreiung Gallneukirchen[20]:

Oberleutnant Heider bezog mit einer Kompanie in Gallneukirchen Stellung, um von hier einen Weitermarsch der 11. US Panzerdiv. nach Linz zu stoppen. Sein großes Verdienst um Gallneukirchen: er entwaffnete den Volkssturm in hartnäckigen Verhandlungen und verweigerte den Befehl, die Barrieren und Geschütze zu besetzen. Den HJ-Burschen war eingetrichtert worden: "wenn der Feind auch bis zur Donau siegt, in Galli schaffen wir den Endsieg". Die US Truppe rückte militärisch betrachtet "gesichert" vor. Beim Vormarsch von Bayern durch das Mühlviertel wurden sie öfter in Kämpfe verwickelt und hinterhältig beschossen, zuletzt in Altenberg. Gallneukirchen wurde um 13.30 Uhr mit Tieffliegern angegriffen, zwei Zivilisten wurden getötet, zwei Wirtschaftsgebäude brannten ab. Granatenbeschuss forderte ein Todesopfer und fünf Verletzte. Um 16 Uhr wurde aus Panzern im Markt geschossen, ein Wehrmachts-Soldat fiel. Nach Aufforderung über Lautsprecher übergab Oberleutnant Heider den Markt kampflos und sich und seine Kompanie in Kriegsgefangenschaft. Als sie am 5. Mai abtransportiert wurden, dankten ihnen viele Gallneukirchner.

Die Gemeinde Gallneukirchen hat 81 Gefallene zu beklagen, 2/3 von ihnen fielen im rassistischen Eroberungskrieg gegen die Sowjetvölker. Kriegsgefangen wurden 112 Männer, die letzten von ihnen sind erst 1949 heimgekehrt.

Betrachten wir die Zeit von 1934 bis 1945 müssen wir sagen: Nie mehr Faschismus, nie mehr Krieg!

Neustart in eine demokratische Gesellschaft - 1945-1955

Eine persönliche Erinnerung: Im Jahr 1955 war ich 10-jähriger Volksschüler in Salzburg. "Warum wird denn dieser Staatsvertrag so groß gefeiert wird?" fragten wir den Herrn Lehrer. "Da war Krieg und den haben wir verloren. Aber der Sieger ist nicht und nicht nach Hause gegangen, er hat uns vieles genommen und hat immer mehr von uns verlangt, aber nun ist er weg." Da stellten wir Kinder uns einen unfairen Spielpartner vor. Meinem Vater berichtete ich darüber. Er schüttelte verärgert den Kopf, und sagte, dass die Nazi-Zeit furchtbar war, aber "jetzt glaubt uns endlich die ganze Welt, dass wir nie mehr Nazis sein werden".

Entnazifizierung in Österreich:[21]

Österreich wurde von den alliierten Streitkräften USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion mit Unterstützung österreichischer Widerstandsgruppen von der Nazi-Diktatur befreit und besetzt. Die gesellschaftspolitisch so unterschiedlichen Alliierten wollten nicht nur die militärische Niederlage des aggressiven Nazi-Deutschland, sondern auch den Faschismus, den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus für die Zukunft verhindern. Schon im Krieg, im Oktober 1943 einigten sich in Moskau die Alliierten darauf, dass Österreich das erste Opfer des Nazi-Deutschlandes ist und befreit werde. Im befreiten und besetzten Österreich, im September 1945 hatte der Alliierte Rat an das österreichische Volk diese Botschaft: "Alle Wurzeln des Nazismus, des gesamtdeutschen Einflusses, alle Manifestationen des deutschen Militarismus müssen ausgerissen werden, um jede Grundlage für eine Wiederholung der deutschen Aggression zu vernichten"[22]. Schon im Mai 1945 nach dem Ende der Kämpfe verhafteten die Alliierten alle leitenden NS-Funktionäre, auch Ortsgruppenleiter und NS-Bürgermeister. Die US-Armee hielt 6.472 ehemalige NS-Funktionäre aus Oberösterreich und Salzburg im Lager Glasenbach bei Salzburg gefangen, die sie erst im Mai 1947 den österreichischen Behörden übergab.

Aber schon im Mai 1945 beschloss die provisorische Staatsregierung unter Karl Renner über Dekrete - und dann als Verfassungsgesetz im Nationalrat ab Dezember 1945 - ein Entnazifizierungsprogramm, das Kriegsverbrechergesetz und das Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP. Dieses Gesetz ist mit mehreren Novellen auch heute gültig.

Kernaussagen des Verbotsgesetzes: Eine weitere Betätigung für diese Partei ist ein Verbrechen. Alle, die Mitglied der NSDAP oder einer NS-Organisation waren, haben sich in einer öffentlichen Liste registrieren zu lassen. Das Gesetz sah Sühnefolgen für die Mitgliedschaft vor, und besondere Sühnepflichten für NS-Funktionäre, Illegale - die vor 1938 Mitglied wurden - und für wirtschaftliche Förderer der NSDAP. Die Registrierten waren vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen und hatten Berufsverbot im Öffentlichen Dienst, in leitenden Positionen der Privatwirtschaft und in freien Berufen und mussten Vermögensabgaben leisten. Mehr als 650.000 Österreicher mussten sich einer österreichischen Kommission stellen, ob sie Kriegsverbrecher, Belastete oder Minderbelastete seien. Ziel der Entnazifizierung war politische Säuberung und Rehabilitierung.

Um die Entnazifizierung führte die Staatsregierung intensive Verhandlungen mit dem Alliierten Rat, der kollektive Strafbestimmungen verlangte. Kollektive Sühnen wären mit demokratischen Grundsätzen unvereinbar. Deshalb fällten zahlreiche Sühnekommission individuelle Urteile oder erstatteten Anzeigen beim Volksgerichtshof. Nicht wenige Urteile der Sühnekommissionen und der Volksgerichtshöfe sind umstritten.

1948 betrachtete die österreichische Bundesregierung die Entnazifizierung als erfolgreich abgeschlossen, die nationalsozialistische Gefahr sei eliminiert und wegen der Entnazifizierung sollte der Wiederaufbau nicht behindert werden. Nach langwierigen Verhandlungen mit den Alliierten konnte 1948 ein Amnestiegesetz für Minderbelastete beschlossen werden.

Ca 600.000 Registrierte wurden als Minderbelastete beurteilt und hatten keine weiteren Einschränkungen, 43.000 Registrierte blieben Belastete mit Rechtseinschränkungen und weiteren Sühnemaßnahmen. Erst 1957 wurde eine generelle NS-Amnestie beschlossen.

Nach innen und nach außen war die Entnazifizierung notwendig. Österreich zeigte mit Härte - Massenentlassungen, Vermögensentzug, Verhaftungen und Internierungen - dass die Nazis unsägliches Leid und diesen Ruin gebracht hatten und die entscheidende Phase des gesellschaftlichen Neuaufbaus sollten Demokraten leiten und nicht Nationalsozialisten. Die Entnazifizierung war nicht auf endgültigen Ausschluss angelegt, sondern auch auf Reintegration nach erbrachter Sühneleistung. Bei den Verhandlungen mit den USA um Aufbauhilfen und später mit den Alliierten um den Staatsvertrag war die dokumentierte Feststellung Österreichs, dass die Entnazifizierung erfolgreich durchgeführt worden war, sehr wichtig. Die österreichische Entnazifizierung war eine legistische und bürokratische. Aber Entnazifizierung als politische Umorientierung und Bildung sollte Aufgabe wacher Demokraten sein und bleiben.

Entnazifizierung in Gallneukirchen:

Die leitenden Funktionäre der örtlichen NSDAP wurden 2 Jahr lang im Lager Glasenbach interniert, denn Gallneukirchen war bis Ende Juli 1945 US-Besatzungszone.

Von der US-Besatzung wurde am 5. Mai 1945 Johann Tikal als Bürgermeister eingesetzt und dieser ernannte einen provisorischen Gemeindeausschuss, in dem mit Leopold Soyka und Josef Pötscher[23] erstmals seit 1933 wieder Sozialisten waren.

Der Marktplatz hieß wieder so; im Jahr 1933 hieß er Dollfuß-Platz und dann Adolf Hitler Platz. Eine dort stehende "Hitlereiche" wurde beseitigt und durch eine Linde ersetzt.[24]

Ehemalige Mitglieder der örtlichen NSDAP mussten als Sühnemaßnahme über behördliche Weisung und über Rekrutierung durch den Gemeindeausschuss bei Straßensanierungen arbeiten.[25]

Lehrer, die NSDAP- Mitglieder waren, konnten bis 1947 nur über Zustimmung der Gemeinde wieder in den Schuldienst eintreten. In den Beschlussprotokollen ist festgehalten, dass nach ausführlicher Diskussion einstimmige Beschlüsse gefasst wurden.[26]

Bei den Wahlen im Jahr 1949 waren im Vergleich zu 1945 nun 293 Personen mehr wahlberechtigt. Aus der Gefangenschaft sind 112 ehemalige Soldaten heimgekehrt. Und weiters hatten die reintegrierten Nationalsozialisten das aktive und passive Wahlrecht wieder erhalten. Die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat änderten sich nur geringfügig, die SPÖ erhielt 3% mehr Stimmen. Im Gemeinderat waren nun sowohl in der ÖVP als auch in der SPÖ Personen, welche 1945 kein Wahlrecht hatten. Ein Beispiel der erfolgten Reintegration. Die Zahl der nun Wahlberechtigten erlaubt den Rückschluss, dass in Gallneukirchen ca. 10 % der Wähler Nationalsozialisten waren[27]. Im Jahr 1949 kandidierte zum Landtag und Nationalrat der VdU, Verband der Unabhängigen - eine Partei, die sich als Partei der "Ehemaligen" präsentierte und in Gallneukirchen 14% der Stimmen erhielt.

Die Sowjets im Mühlviertel 1945-1955

Die alliierten Streitkräfte blieben als Besatzungsmacht in Österreich mit dem gemeinsamen Ziel, die Entnazifizierung sicherzustellen und den Neuaufbau eines demokratischen Österreichs zu kontrollieren.

Erkundet man das kollektive Gedächtnis, fragt man ältere Menschen nach Erinnerungen an die "Russenzeit" erhält man Berichte über schreckliche Übergriffe und über die Angst vor Gewalttaten, von Ausweispflichten und Kontrollen, von verordneter Kultur, von sowjetischer Kommandantur und der Zivilverwaltung Mühlviertel unter dem Staatsbeauftragten Johann Blöchl.

Die tragische Geschichte der "Russenzeit" soll in einem Zusammenhang betrachtet werden:

Der Russlandfeldzug des Dritten Reiches muss als "größter Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg" der Geschichte (Ernst Nolte) bezeichnet werden. Ca. 27 Millionen Menschen der Sowjetunion, darunter ein Großteil Zivilisten und Kriegsgefangene, fielen den Ausrottungsplänen des Dritten Reiches zum Opfer.[28] Die Sowjetunion hatte die größten Opfer an Menschenleben aller Alliierten zu verzeichnen. Das Land wurde verwüstet und die Industrie und die Infrastruktur zerstört, stärker noch als Deutschland. In den Nachkriegsjahren erlebten die Menschen in der Sowjetunion Hungerjahre. Zu Kriegsende kamen rund 400.000 Rotarmisten nach Österreich, 26.000 sowjetische Soldaten hatten in Österreich ihr Leben verloren.[29]

Die großen Zahlen über erlittene Leiden russischer Menschen soll dieses Schicksal anschaulich machen: Dem Leiter der Kommandantur in Freistadt (1945- 47) Major Sacharjan, einem Kaukasier, wurden von der SS seine Frau, seine zwei Kinder und seine Schwiegereltern ermordet.[30]

Im August 1945 wurde das Mühlviertel von den Alliierten den Sowjets als Besatzungszone zugesprochen und von Oberösterreichs Verwaltung getrennt. Die Sowjets wollten damit die West-Alliierten von der tschechischen Grenze fernhalten und die Donau ab Passau kontrollieren können. Der militärische Auftrag der sowjetischen Besatzungsmacht war einmal derselbe wie in den Besatzungszonen der Alliierten: generelle Entwaffnung, Schutz der eingesetzten Verwaltung, insbesondere der Entnazifizierung, Festnahme von NS-Funktionären und SS-Angehörigen und Kriegsverbrechern. Die sowjetischen Truppen hatten darüber hinaus Personen festzunehmen, denen menschen- und kriegsrechtswidrige Vergehen gegen Sowjetbürger, gegen Zivilisten in den bekriegten Ländern, gegen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter vorgehalten wurden sowie Deserteure der Sowjetarmee (z.B. Wlasov-Truppen und ukrainische SS) und in den späteren Besetzungsjahren auch Personen, die der Spionage verdächtigt wurden. Die Ausweispflichten und die Kontrollen wurden damit begründet.

Sowjetische Kommandanturen waren in allen Bezirken des Mühlviertels bis 1955, im August und September 1945 auch in den größeren Gemeinden, auch in Gallneukirchen. Die genaue Truppenstärke der Sowjets im Mühlviertel ist nicht bekannt. Vom August bis November 1945 waren allein im Bezirk Freistadt bis zu 89.000 Sowjets, der Bezirk hat ca. 50.000 Einwohner. Die Besatzung wurde ab Mai 1946 dann auf ca. 17.000 Mann und später auf ca. 10.000 Mann reduziert.

Raub, Plünderungen und Vergewaltigungen, Verletzungen und Morde durch sowjetische Soldaten vor allem in den entlegenen Dörfern sind bleibende Schreckenserinnerungen an das Kriegsende. Unter dem Vorwand nach SS-Leuten, Partisanen, Waffen oder Nationalsozialisten zu suchen, drangen "die Russen" in die Häuser ein, durchsuchten und nahmen mit, was begehrt war. Die Soldaten konnten damals Pakete nachhause schicken. Der Zivilverwaltung Mühlviertel wurden zwischen August 1945 bis Jahresende 1946 gemeldet: 6.397 Plünderungen und Ausschreitungen, 869 Vergewaltigungen, 193 Verletzungen, 45 Verschleppungen, 25 Todesopfer.[31]

In den Gendarmerieprotokollen über den Markt Gallneukirchen sind keine Verbrechen verzeichnet, aber aus den umliegenden Gemeinden.

Die Zivilverwaltung Mühlviertel verlangte von der Kommandantur Maßnahmen gegen diese Verbrechen. Berichtet wird, dass die Kommandanten diese Verbrechen nicht wegleugneten, sondern menschlich betroffen die Verfolgung der Straftäter zusagten. Nicht die sowjetischen Soldaten schlechthin seien außerhalb des Rechts, unter den ca. 90.000 Soldaten im Mühlviertel gäbe es nach diesem Krieg möglicherweise 1% üble Elemente[32]. Dokumente über Militärgerichtsverfahren sind heute veröffentlicht.[33] Dass die Kommandanturen Vergehen ahndeten, ist auch im Gallneukirchner Heimatbuch festgehalten. Berichtet wird, dass sowjetische Soldaten wegen Disziplinwidrigkeiten als Strafe so sehr verprügelt wurden, dass Schmerzensschrei auf der Straße gehört wurden[34]. Nach dem Abzug vieler Soldaten - die Militärstärke wurde von ca. 90.000 Mann im Jahr 1945 auf ca. 10.000 Mann im Jahr 1955 reduziert - und einer besseren Versorgung wurden viel seltener Verbrechen gemeldet. Angst musste aber die Bevölkerung vor schwer betrunkenen Soldaten weiterhin haben.

"Verschleppungen durch die Russen"[35], also Menschenraub, bleibt im kollektiven Gedächtnis. Nach Gendarmerieprotokollen wurden allein aus Oberösterreich 163 Personen verschleppt, aus Österreich 2200. Seit 1990 gestattet die russische Regierung die Recherche in den Armeeprotokollen, 142 Verschleppungen aus Oberösterreich konnten bisher aufgeklärt werden. Diese Personen wurden von geheimen Militärtribunalen zu langjährigen Strafen in Arbeitslagern (GULAG) verurteilt, auch Todesurteile wurden ausgesprochen. Verurteilungsgründe waren Kriegsverbrechen, Waffenbesitz, Verbrechen an Bürgern der UdSSR, an Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, Vergehen gegen Rotarmisten und Spionage. Weil die Archive der ehemaligen UdSSR nun zugänglich sind, konnten die Schicksale von vielen vermissten Österreichern geklärt werden.

Schulen waren der Beatzungsmacht sehr wichtig, schon in ihren ersten Befehlen forderten sie die sofortige Wiedereröffnung der Schulen, auch jener, in denen Soldaten und Flüchtlinge einquartiert waren. Sie kontrollierten die Räumung und den Schulbeginn. Die Zivilverwaltung verhandelte intensiv mit der Kommandantur um die Wiedereinstellung von NS- belasteten Lehrern, ein Unterricht wäre sonst nicht möglich gewesen. Russisch-Unterricht in den Hauptschulen wurde verlangt. Bereits 1952 gab es in 21 Hauptschulen und in 81 Klassen Russisch-Unterricht, auch in Gallneukirchen.

Das kulturelle Leben sollte so rasch wie möglich in Gang kommen. Vom Kommandanten Gallneukirchens berichtet das Heimatbuch: "Er förderte sportliche und kulturelle Veranstaltungen und veranlasste, dass zum Wochenende im Gasthaus Riepl zum Tanz aufgespielt wurde, wobei Herr Dir. Novotny als Kapell- und Tanzmeister zu fungieren hatte."[36]

Die Kinos wurden angehalten die bereitgestellten russischen Filme vorzuführen.

Zwei arbeitsfreie Staatsfeiertage wurden angeordnet. Der 8. Mai, Tag der Befreiung Österreichs und der 7. November, Tag der russischen Oktoberrevolution. Zu diesen Tagen gab es Schulfeiern und Filme, am 8. Mai dankte der Bürgermeister in Ansprachen der sowjetischen Armee. Diese Feiertage nicht zu übersehen wurde den Bürgermeistern von der Zivilverwaltung nahe gelegt. Die offiziellen Feiern und die anschließenden "inoffiziellen" Feiern waren für das Gesprächsklima sehr wichtig.

Von einer sprichwörtlichen "Kinderliebe" der sowjetischen Soldaten berichten viele Zeitzeugen. Sie interessierten sich für Schulhefte und Bücher, waren freundlich, nett, gerührt und freigiebig, besonders wenn ihnen Lieder vorgesungen wurden. Kinder wurden in der Weihnachtszeit von der sowjetischen Armee beschenkt. In einer Erinnerung wird angemerkt, dass "die Russen" im Umgang mit Kindern für einen kurzen Augenblick das Soldatenleben vergessen konnten.[37]

Die neue Situation im böhmischen Nachbarland - Bevölkerungsaustausch in der Grenzregion, Staatswirtschaft nach sowjetischem System und Eiserner Vorhang ab 1948 - und die ungewiss lange Besatzungsmacht Sowjetunion war für den Wirtschaftsaufschwung im Mühlviertel ein großer Nachteil.

Zur Verabschiedung der Sowjets im August 1955 nach dem Staatsvertrag dankten der inoffizielle Landeshauptmann des Mühlviertels Johann Blöchl und die Behördenvertreter den sowjetischen Kommandanten für Zusammenarbeit, für gegenseitige Hochachtung in den vielen intensiven Verhandlungen. Die Kommandanten betonten, sie hätten bewiesen, dass eine friedliche Koexistenz möglich sei und verabschiedeten sich mit Wünschen für eine gute Zukunft. Von Freistadt wird berichtet, dass der Abschied nicht wenige Soldaten wehmütig stimmte.

Österreichs Weg zum Wohlfahrtsstaat
Am Ende der 1. Republik im Jahr 1937 war das Volkseinkommen
[38], das Bruttoinlandsprodukt (BIP) so niedrig wie 25 Jahre zuvor, also im Jahr 1914. In der 1. Republik, in den Jahren nach 1930 hatten die Menschen weniger materiellen Wohlstand und soziale Sicherheit als in den letzten Jahren der Monarchie. Im Jahr des totalen Kriegsruins 1945/46 war das Volkseinkommen um 42 % niedriger als 1937. So ein niedriges Volkseinkommen bedeutet Armut für viele und Hungerzeit. Auf Bezugskarten konnten 1945 die Menschen pro Person Lebensmittel nur über 800 Kalorien kaufen. 800 Kalorien sind eine karge Mahlzeit, ein nicht schwer arbeitender Mensch sollte täglich 2 200 Kalorien haben.

In den ersten 5 Jahren nach 1945 hat Österreich eine enorme Entwicklung geschafft. Ab 1952 waren keine Lebensmittelkarten mehr notwendig, es gab wieder genug Lebensmittel. Das BIP hatte 1950 die Höhe von 1937 überschritten und 1955 war es um 50 % höher. Zwischen 1948 und 1952 wuchs die Wirtschaft jährlich um durchschnittlich 20 %, bis 1956 wurde ein jährliches durchschnittliches Wachstum von 10 % und bis 1973 von 5,6 % erarbeitet.

Für diese Entwicklung hat die österreichische Politik in den Startjahren bis 1947 richtungweisende Entscheidungen getroffen. Mit Verstaatlichungsgesetzen wurden 1946 die Grundstoffindustrie und die Großbanken und 1947 die Elektrizitätswirtschaft nationales Eigentum. Diese Industrien und Banken hatte das NS-Regime für die Kriegswirtschaft enteignet und auch Betriebe gegründet. Die West-Alliierten übergaben dieses frühere deutsche Eigentum der österreichischen Regierung, die Sowjets aber behielten die Betriebe aus früherem deutschem Eigentum und führten die Betriebe als USIA- Betriebe nach sowjetisch staatswirtschaftlichen Doktrinen weiter.

Die österreichische Bundesregierung hatte mit den Landesregierungen und den Interessensvertretungen der Industrie, des Gewerbes, der Landwirtschaft und der Arbeiter entschieden, keinen Betrieb und keine Anlagen international zu verkaufen um mit dem Erlös Not zu lindern und Infrastruktur aufzubauen, sondern eine verstaatlichte Grundstoffindustrie und Kreditwirtschaft aufzubauen. Dieser bravourös optimistische Konsens wurde akzeptiert, weil der Privatwirtschaft zugesagt wurde ihr Grundstoffe und Elektrizität zu gemeinwirtschaftlichen Preisen und nicht internationalen Marktpreisen abzugeben. Und zu günstigen Krediten soll die gesamte Wirtschaft, auch die Kommunalwirtschaft (u. a. Wasser, Wohnungen, Wege) Zugang haben.

Doch woher sollte günstiges Startkapital kommen? Die USA boten Europa über Initiative des Außenministers und späteren Friedens-Nobelpreis-Trägers George C. Marshall Entwicklungshilfe an. Ein europäischer Staat konnte dem ERP-Fund (European Recovery Programm)- bekannt als Marshall-Plan - Entwicklungsprogramme vorlegen und dafür US- Kapital erhalten. Mit diesen US-Dollar musste das Land in den USA Waren einkaufen und dann in nationaler Währung daheim verkaufen. Den Verkaufserlös hatte das Land in einem nationalen ERP-Fund anzulegen und daraus Investitions-Kredite zu gemeinwirtschaftlichen Kosten -also nicht Marktzinsen- zu geben. Innerhalb von 3 Jahren ab 1948 kaufte Österreich Lebensmittel und Investitionsgüter über 962 Millionen US Dollar und baute mit den Verkaufserlösen den österreichischen ERP-Fund auf. Satzungsgemäß ist dieser Fond nicht in das Staatsbudget integriert. Bis 1962 behielt sich die USA die Aufsicht über diesen Fond, seit 1962 ist er unabhängig. Dieser Fond besteht auch heute; im Jahr 2004 war sein Vermögen € 28 Millionen und er hat 87 Projekte mit insgesamt € 462 Mill. zu einem Zinssatz von 2,5% gefördert.

Kompromissbereitschaft im Land und hervorragende Diplomatie machten den ERP-Fund möglich. Warum die USA dem Aufbau einer verstaatlichten Industrie letztlich zustimmten?

Österreich überzeugte, dass so die geforderte Unabhängigkeit von deutschem Kapital und eine entnazifizierte Wirtschaft bestens garantiert werden könne. Von den österreichschen Fondszahlungen wurden ca. 2/3 bis 1955 für die Grundstoffindustrie eingesetzt, für Eisen, Stahl, Papier, Aluminium und Elektrizität. Der Aufbau von 2 Betrieben hat besonderen Symbolwert für den österreichischen Aufbau. Das Tauernkraftwerk Kaprun[39] wurde von 1948 bis 1955 in erster Stufe fertig gebaut, zu 2/3 mit ERP finanziert. Kaprun war das größte ERP-Projekt des gesamten US-Fonds. Für die österreichische Stahlindustrie[40] wurde ein "Austrian- Long-Term Programm" für die Jahre bis 1952 durchgebracht, das den Ausbau der Grob-, Mittel- und Feinblechfabrikation möglich machte. Die VÖEST erhielt bis 1953 aus dem ERP-Fond 549 Millionen S, ab 1954 konnte sie den weiteren Ausbau aus eigener Kraft finanzieren.

In Gallneukirchen wurden 2 Agrar-Projekte aus dem ERP-Fond finanziert. Vom Punzenberg führte ein Graben über Tumbach nach Simling zur Gusen. Er wurde durch die gesamte Länge verrohrt und die umliegenden "nassen" Wiesen wurden drainagiert. So wurde viel Ackerland gewonnen. Die Straße von Gallneukirchen/Oberndorf zum Gallusberg wurde gebaut.

Ein wesentlicher Baustein des neuen Österreich ist der Aufbau der Sozialversicherung auf dem Grundsatz der Solidarität der Jungen mit den Alten, der Gesunden mit den Kranken, der Arbeitenden mit den Arbeitsunfähigen und Arbeitslosen. Wer erwerbstätig ist, ist auch automatisch kranken- pensions- und unfall -versichert und Unselbständige sind arbeitslosenversichert. Diese Sozialrechte wurden 1955 mit dem ASVG abgesichert. Die Sozialversicherung wurde zu 2/3 aus dem Ertrag der Arbeit und zu 1/3 vom Staat finanziert. Die Pension für Arbeiter wurde erstmals in diesen Jahren eine tatsächliche Existenzsicherung. Die Sicherheit der Sozialversicherung erlaubte es den besitzlosen Arbeitenden für sich zu investieren, Kredite für das Wohnen aufzunehmen.

Staatliche Wohnbauförderung wurde bis 1954 nur für den Wiederaufbau nach Kriegsschäden bereitgestellt. Erst ab 1954 wurde der Neubau von Wohnungen als Gemeinnütziger Wohnbau

staatlich gefördert. Heute nur mehr schwer vorstellbar ist, dass 1951 noch 2/3 aller Wohnungen weder Wasser noch WC innerhalb in der Wohnung hatten.

Sozialpartnerschaft ist das Kennzeichen der Konsens- oder Konkordanz-Demokratie Österreichs der Nachkriegsjahre geworden. Die erste Republik war im Unterschied zur zweiten Republik immer stärker eine zentrifugale Demokratie worden. Die Parteien und Interessensvertretungen entfernten sich stark von einander. Demokratische Interessensvertretung der Arbeiter im Betrieb und Staat wurde nicht akzeptiert. Die tragische Folge war ein Bürgerkrieg, der mahnend in Erinnerung bleiben muss. Anders die zweite Republik. Gemeinsam war die Abgrenzung vom Nationalsozialismus und von sowjetisch-volkskommunistischen Vorstellungen. Demokratischer Ausgleich von Interessen - es soll geschaffen werden und es soll gerecht geteilt werden und das Geschaffene soll wertvoll bleiben - wurde den Interessensgruppen von Arbeit und Kapital akzeptiert. Bereits 1947, nach der Währungsreform und der Aussicht auf Beteiligung am Marshall-Plan wurde das 1. Lohn-Preis-Abkommen von Unternehmervertretern und Gewerkschaften unterzeichnet, dem weitere folgten. Nicht eine liberale und Macht ausspielende Marktwirtschaft sondern eine soziale und abstimmende Marktwirtschaft, leitete

Der Wiederaufbau demokratischer Kultur in Gallneukirchen

Der Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft in Gallneukirchen erfolgte aus dem Chaos des Kriegsendes. Vom US- Ortskommandanten wurde Herr Johann Tikal als Bürgermeister eingesetzt. Der damals 73-jährige Tikal war pensionierter Gendarmeriebeamter und Bürgermeister von 1931 bis 1938. Bürgermeister Tikal hat in persönlichen Aufzeichnungen[41] das Chaos so beschrieben: Befreite Zwangsarbeiter, Flüchtlinge und Menschen in KZ-Kleidern und heimwärts strömende italienische Soldaten wollten Verpflegung, Unterkunft und organisierte Heimtransporte. Gegen Bedrohungen und Gewalt konnte der Bevölkerung nur schwer geholfen werden. Ein Teil der Gendarmen waren wegen ihrer NS-Nähe entlassen und die wenigen aktiven Gendarmen konnten entwaffnet keinen Schutz geben. Johann Tikal schreibt auch: "Es gelang dank der Zusammenarbeit aller, in kurzer Zeit wieder Ordnung zu schaffen." Mit "kurzer Zeit" meinte Tikal an anderer Stelle ca. 6 Wochen.

Unvergessen soll in Gallneukirchen bleiben, dass hier auf der Aigner Halde ca. 40.000 Wehrmachtssoldaten von der US- Army in einem offenen Lager gefangen gehalten wurden.

In diesem Lager waren schlechteste Lebensbedingungen. An den schlechten Lagerbedingungen, aus Mutlosigkeit und Erschöpfung und bei der Flucht sind ca. 40 Soldaten - eine konkrete Zahl ist aus den niedergeschriebenen Erinnerungen nicht eruierbar - um Ihr Leben gekommen. Anfangs wurden die Soldaten in die US-Kriegsgefangenschaft nach Rohrbach transportiert und zuletzt ca. 15.000 nach Pregarten in die Sowjetische Kriegsgefangenschaft geführt.

Die Arbeit des Gemeinderates

Am 29. Mai 1945 gelobte Bürgermeister Tikal die provisorischen Gemeindevertreter Josef Neubauer, Franz Stögmüller, Philipp Burner, Karl Doppler, Leopold Soyka und Josef Pötscher auf die österreichische Verfassung des Jahres 1920 an.

Was organisierte der Gemeinderat im Jahr 1945?

Die Gemeindestraßen und Wege mussten wieder benutzbar werden, herumstehende Kriegsgeräten beseitigt werden und die Straßen für Fuhrwerksverkehr geglättet werden. Brennmaterial für die öffentlichen Gebäude, auch für Schulen, für die Bäcker und für die Haushalte musste organisiert werden. Die organisierte Bevölkerung konnte mit Hilfe der Nachbargemeinden 600 Raummeter Holz herbeischaffen, die Hälfte wurde an Haushalte abgegeben.

Im November 1945 waren Wahlen. Der gewählte Gemeinderat setzte sich aus 12 Mandataren der ÖVP, 5 der SPÖ und 1 der KPÖ zusammen. Am 16. November 1946 übernimmt der Hauptschuldirektor Rudolf Köttsdorfer das Bürgermeisteramt, Johann Tikal arbeitet bis 1955 im Gemeinderat mit.

Mit dem Kriegsende hatte Österreich großen Nahrungsmangel, besonders in den Städten. Lebensmittel wurden nur gegen Bezugskarten abgegeben, Bauern hatten Abgabeverpflichtungen. Zur Sicherstellung und Kontrolle der Abgabe der Agrarprodukte musste die Gemeinde einen Ortsleistungsausschuss einrichten. Der Ausschuss hatte strikte Pflichten, er musste 2 x monatlich zusammenkommen, musste seine Sitzungstermine für ein ½ Jahr im Voraus melden, musste von Vertretern aller Parteien beschickt sein und musste auch dem Gemeinderat berichten. So berichtet im November 1947 der Bürgermeister, dass mit Mühe die geforderte Menge Brotgetreide abgeliefert wurde, aber 10.000 kg Kartoffel noch fehlen und appelliert an den Ausschuss. Innerhalb eines Monats konnten dann die Kartoffel aufgebracht werden. Dieser Ausschuss musste Hofbegehungen machen, Ablieferungsbescheide zustellen, vermitteln und kontrollieren. Diese Gemeinderäte haben in vielen Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung für eine nationale Solidarität Großartiges zuwege gebracht. Debatten zur Aufbringung der Lebensmittel sind in den Protokollen vermerkt.

Sammlungen zur Linderung der Not, für eine Heimathilfe, für eine Heimkehrerhilfe und das Rote Kreuz wurden im Gemeinderat beschlossen und von den Gemeinderäten persönlich bis 1952 durchgeführt.

Die Wohnungsnot war untragbar groß. Über ein Wohnungsanforderungsgesetz war der Bürgermeister verpflichtet Wohnungen zuzuteilen, nicht nur an Besatzungssoldaten, sondern auch an Zivilpersonen. Alle Vermietungen mussten über die Gemeinde erfolgen, die Gemeinde konnte Vermietungen anordnen. Ein Wohnungsausschuss, in dem alle Parteien vertreten sein mussten, hatte den Bürgermeister zu beraten und kontrollieren. Der Wohnungsausschuss erarbeitete Vergaberichtlinien für Mietwohnungen, Kontrollen über möglicherweise freien, nicht gemeldeten Wohnraum. Ein Flächenwidmungs- und Teilbebauungsplan wurde im Oktober 1948 beschlossen. Wegen der Wohnungsnot vergab die Gemeinde aus dem Gemeindegliedervermögen parzellierte Baugründe und erwarb von der katholischen Pfarre im Tauschweg Baugrund. Die Parzellen wurden auf Pacht abgegeben gegen die Verpflichtung bis zu einem vereinbarten Limit auch zu bauen. Fallweise wurde die Pacht aufgelöst und anderen Bauwerbern gegeben. Erst wenn der Rohbau vollendet war, konnte die Liegenschaft erworben werden und damit ein Darlehen gesucht werden, was sehr schwierig war. Dass Gallneukirchen keine kommunale Sparkasse hatte, war für die Siedler ein starker Nachteil. Der Grundpreis für Siedler war im Jahr 1948 Schilling 1,20 pro m², 1950 S 3,50 und 1953 S 7,-. Die SPÖ-Fraktion brachte wiederholt vor, dass Grundstückspolitik allein nicht die Wohnungsnot geringer mache und forderte den Bau von kommunalen Mietwohnungen. Die Anträge des Gemeinderates auf Förderung eines Gemeindebaus hatten keinen Erfolg, denn der Staat förderte bis 1954 nur den Wiederaufbau von im Krieg zerstörten Wohnungen. 1954 wurde die Gemeinde Mitlied der LAWOG, 1955 war Spatenstich für den 1. LAWOG-Bau in der Raiffeisenstraße.

Gemeinderatsbeschlüsse wurden meistens einstimmig getroffen, aber in Bauland- und Wohnungsahngelegenheiten wurden Anträge auch abgelehnt oder nur mit relativer Mehrheit beschlossen.

Was vordringlich ist, war im Gemeinderat nie umstritten. Schuldenlast: Die Gemeinde hatte Schulden von S 210.000,- bei Banken bei einem Budget von nur S 79.000,- im Jahr 1947. In der NS-Zeit wurden diese Kredite nicht bedient. Eine Entschuldung durch die Landesregierung wurde erst 1948 gegeben. Erst dann konnte mit einer besseren Wasserversorgung begonnen werden. Die Wasserqualität war so schlecht, dass es nicht als Trinkwasser verwendet werden konnte. Für einen neuen Brunnen wurden 1947 - auch über Empfehlung der Sanitätsbehörde - die Beschlüsse gefasst und die Gebühren um 50 % erhöht. Alle Kosten, von der Projektierung über die Probebohrungen und die Errichtung sollte die Gemeinde aus Gebühren tragen, die deshalb mehrmals erhöht wurden und auch aus Erlösen von Grundstücksverkäufen und Bankdarlehen zu Freimarkt-Zinsen. Nach Abschluss des Brunnenbaus hatte die Gemeinde Zahlungsverpflichtungen in der Höhe von ca. 2/3 des gesamten Gemeindehaushaltes von 1951. Erst angesichts dieser Last gab das Land Mittel zur Entschuldung.

Der Marktplatz musste verkehrsgerecht gestaltet werden, auch weil der Post-Busbetrieb es forderte. Die Neugestaltung des Marktplatzes wurde 1949 begonnen und 1953 abgeschlossen.

Dass neue Schulgebäude notwendig waren stand nicht im Zweifel, es wurde aber keine Finanzierungsmöglichkeit gesehen.

Die Ausgaben der Gemeinde wurden von 1945 bis 1955 zu ca. 2/3 aus Gemeindeabgaben und Gemeinde-Steuern gedeckt, erst in den Jahren nach 1970 konnten die Gemeindeausgaben aus Bundesertragsanteilen zu ca. 60% getragen werden. In der sowjetischen Besatzungszone, also auch im Mühlviertel waren im Unterschied zur "West-Zone" kaum größere Wirtschaftsinvestitionen privater Unternehmer. Geringere Gemeindeeinnahmen und Auspendeln zur Arbeit sind ein historisches Schicksal der Mühlviertler. Heute kaum verständlich, den vielen Gallneukirchner Schichtarbeitern in der Linzer Industrie wurden erst ab 1960 Autobusse angeboten. Lange Zeit mussten viele mit Fahrrädern oder später mit Motorrädern zur Arbeit fahren.

Lebensfreude - die Bürger organisieren sich

Schon in der 1. Arbeitssitzung des Gemeinderates 1945 wurde eine Vergnügungssteuer auf Tanz-Veranstaltungen beschlossen. Die erste Tanzveranstaltung musste auf Anordnung des sowjetischen Ortskommandanten veranstaltetet werden. Schon im Fasching 1946 hatte es mehrere Bälle gegeben. Das geht aus Ansuchen um Minderung der Lustbarkeitssteuer hervor. Der Musikverein begann schon 1945 wieder mit dem Musizieren, wenngleich die offizielle Wiedergründung des Vereins erst 1946 erfolgte. Im Fasching 1947 erheiterte er mit einem Faschingszug.

Ein Bildungs- und Heimatverein ersuchte die Gemeinde im März 1946 den Turnplatz nebst der Hauptschule als Fußballspielfeld auszubauen zu dürfen. Die Gemeinde gibt dazu Förderungen. Seither wird in Gallneukirchen Fußball gespielt. Dressen wurden selbst hergestellt. Zu Auswärts-Spielen wurde mit Fahrrädern und später mit LKWs gefahren. 1947 wurde der Sportverein gegründet.

Der Verschönerungsverein, schon 1897 gegründet, 1951 wieder gegründet, bemühte sich um die Badeanstalt an der Gusen neben dem Haus Mühle, vormals Pitzelmühle. 1952 hat die Gemeinde das Grundstück für das heutige Freibad gekauft, das 1960 eröffnet wurde. Prämierungen für Blumenschmuck der Häuser gibt es seit 1953.

Die Pfarren konnten wieder Jugendorganisationen bilden. Die SPÖ führte eine Jung-Sozialisten Gruppe ab 1947 mit vielen Aktivitäten. Die Kinderfreunde konnten 1951 beim ehemaligen Ziegelstadel eine Hütte für ihre Aktivitäten aufstellen.

Die Chorgemeinschaft und das Streichorchester sind ab 1948 wieder aktiv. Die Operettenaufführungen (1951 "Die goldene Meisterin", 1954 "Der fidele Bauer" und 1955 "Gräfin Marizza") haben Publikum aus naher und weiter Entfernung angezogen.

Zuversicht, Optimismus hatten in dieser Zeit viele Menschen, eine Grundstimmung "es geht aufwärts, wir können uns ein besseres Leben erarbeiten".

Ein Indikator des gesellschaftlichen Optimismus ist die Geburtenrate, 1955 war sie doppelt so hoch wie 1934. Die Anzahl der Geburten pro Jahr bezogen auf 1000 Einwohner in Gallneukirchen:

1934

16

1951

27

1939

30,3

1955

38

1943

35,5

1956

42

1945

19

1960

43

Am 5. und 6. November 1955 organisierte die Gemeinde eine große Befreiungsfeier.

Das Fest wurde am Samstag eingeleitet mit einem Fackelzug und einem Toten-Gedenken beim Kriegerdenkmal. Anschließend gab es großes Feuerwerk. Am Sonntag wurde gefeiert mit einem Gottesdienst und einer Jungbürgerfeier. Am Nachmittag wurde in allen Gasthäusern zum Tanz aufgespielt.

Im Jahr 2005 wird erinnert "60 Jahre lang kein Krieg in Österreich!" das ist in der jahrhunderte langen Geschichte Österreichs einzigartig! Österreich ist nun ein Wohlfahrtsstaat und mit allen Nachbarstaaten Mitglied in der Europäischen Union. Die Menschen in einer weiten europäischen Region können den Weg einer demokratischen Entwicklung für Frieden und Wohlfahrt gemeinsam gehen. Dass der Unfrieden und die Not in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts keine Wiederholung findet ist unser aller Aufgabe. Aktuell ist: Eine bessere europäische Sozialordnung soll Frieden und Wohlfahrt in Europa sicherstellen.

Rupert Huber


[1] Gallneukirchen. Ein Heimatbuch für die Gemeinden Gallneukirchen, Engerwitzdorf und Unterweitersdorf. Gallneukirchen 1982. Darin: G. Fitzinger, Aufbruch in ein neues Jahrhundert. S 211 ff.

[2] G. Fitzinger a.a.O. S 238

[3] G. Fitzinger a.a.O. S 239

[4] Information von Erich Zoglauer

[5] Gallneukirchen. Ein Heimatbuch für die Gemeinden Gallneukirchen, Engerwitzdorf und Unterweitersdorf. Gallneukirchen 1982. Darin: G. Fitzinger, Aufbruch in ein neues Jahrhundert. S 239

[6] Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt 2005                                                                                             

[7] 1938, vor dem Anschluss war Deutschland vor dem Staatsbankrott. Der Raub der gesamten Devisen- und Goldbestände der österr. Nationalbank im Wert von 2,7 Milliarden Goldschillingen und des arisierten Vermögens ermöglichte das Fortführen der Aufrüstung und NS-Demagogie.

[8] Die Geschichte des Dritten Reiches erzählt von Torsten Körner. Camus Verlag Frankfurt^/New York 2000, S 57 ff

[9] Brigitte Kepplinger. Aspekte nationalsozialistischer Herrschaft in OÖ. In: NS-Herrschaft in Ö. Wien 1988

6 Harry Slpnicka. Oberösterreich -als es "Oberdonau "hieß (1938 -1945).Linz 1978

[10] Brigitte Kepplinger. Aspekte nationalsozialistischer Herrschaft in OÖ. In: NS-Herrschaft in Ö. Wien 1988

[11] Damals gab es eine Fahrradsteuer, die den Armen auch diese Mobilität nahm. Diese Steuer wurde sofort abgeschafft.

[12] W. Neugebauer. Das NS-Terrorsystem. In NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945. Wien 1988

[13] Widerstand und Verfolgung in OÖ 1934-1945. Band 2. Wien 1982. S 69

[14] Widerstand und Verfolgung, Bd.2. S 515

[15] Widerstand und Verfolgung, Bd.2. S 440f

[16] Widerstand und Verfolgung, Bd.1 S 449f, S 468

[17] Widerstand und Verfolgung, a. a. O. S 341, 357, 364

[18] G. Fitzinger. Das Schicksalsjahr 1945 a.a.0. S 250 f

[19] G. Fitzinger. Das Schicksalsjahr 1945 a.a.0. S 251

[20] G. Fitzinger. Das Schicksalsjahr 1945. a.a.O. 250f

[21] vgl.: Dieter Stiefel. Entnazifizierung in Österreich. Wien 1981

[22] Stiefel, Entnazifizierung a. a. O. S 23

[23] Gemeinderatsprotokoll Gallneukirchen vom 29.4.1945

[24] Gemeinderatsprotokoll Gallneukirchen vom 9.3.1946

[25] Gemeinderatsprotokoll Gallneukirchen vom 6.6.1946

[26] Gemeinderatsprotokolle Gallneukirchen vom 14.12.1946,1.3.1947,30.8.1947

[27] Die Personenstands-Unterlagen über den Bezirk Urfahr gelten als verschollen. Über alle oö. Gemeinden gibt es im Landesarchiv diese Dokumente, aber nicht über die Gemeinden des Bezirkes Urfahr und Linz-Land.

[28] Wigbert Benz: Der Russlandfeldzug des Dritten Reiches. Ursachen, Ziele, Wirkungen. Zur Bewältigung eines Völkermordes unter Berücksichtung des Geschichtsunterrichtes. Frankfurt 1988

[29] Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx (Hg.) Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955.Graz-Wien-München 2005, S 9

[30] Edmund Merl. Besatzungszeit im Mühlviertel. Linz !980. S 83.

[31] Gerald Hafner: Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung. In: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx (Hg.) Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955.Graz-Wien-München 2005, S 512

[32] Merl a.a.O. S 189

[33] In: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx (Hg.) Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung...Dokumente. a.a.O.

[34] G. Fitzinger. Das Schicksalsjahr 1945. In : Gallneukirchen. Ein Heimatbuch.... . a.a.O. S 255

[35] Harald Knoll - Barbara Stelzl-Marx. Sowjetische Strafjustiz in Österreich. Verhaftungen und Verurteilungen 1945-1955. In: In: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx (Hg.),a.a.O. S 275 ff

[36] Fitzinger, Das Schicksalsjahr...a.a.O. S 255.

[37] Gerald Hafner: Das Mühlviertel unter sowjetischer Besatzung. Und: Aleksandr Bezborodov u.a.: Erinnerungen an Österreich. In: Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx (Hg.) Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955.Graz-Wien-München 2005. Stefan Karner - Barbara Stelzl-Marx (Hg.) Die Rote Armee in Österreich. Dokumente S 643.

[38] Hans Seidl. Die Entfaltung der Produktionskräfte der österreichischen Wirtschaft. In: Bodzenta, Seidl u.a.: Österreich im Wandel. Gesellschaft Wirtschaft Raum. Wien 1985

[39] Georg Rigele. Der Marshall-Plan und Österreichs Alpenwasserkräfte: Kaprun. In: Günther Bischof/Dieter Stiefel. "80 Dollar".50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948-1955. Wien 1999.

[40] Kurt Tweraser. Der Marshall-Plan und die österreichische Stahlindustrie: VÖEST. In: Günther Bischof/Dieter Stiefel. "80 Dollar".50 Jahre. A.a.O.

[41] G. Fitzinger. Das Schicksalsjahr 1945. In: Gallneukirchen, ein Heimatbuch.... .a.a.O. S 255